Die Permanent International Altaistic Conference und ihre XIII. Tagung, Strasbourg 1970

Erschienen in: EAZ Ethnogr.-Archäol. Z. 12, 154 — 157, Berlin 1971
DOI: https://doi.org/10.54799/WOYI7735
Hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung durch die EAZ

Verrutschte Jahreszahlen im ersten Absatz wurden nicht korrigiert. O. Corff, 09. August 2023


Die Permanent International Altaistic Conference und ihre XIII. Tagung, Strasbourg 1970

von Hans-Peter Vietze (Berlin)

Die Permanent International Altaistic Conference (PIAC) wurde während des 24. Internationalen Orientalistenkongresses in München gegründet. Ihre erste Tagung fand im Juni 1958 in Mainz statt. Weitere Tagungen folgten in Burg Liebenstein (BDR) 1959, Cambrigde (England) 1960, Bloomington (USA) 1961, Helsinki (Finnland) 1962, De Pietersberg (Niederlande) 1963, Wahlscheid (BDR) 1964, Ravello (Italien) 1966, Manchester (England) 1967, Hørsholm (Dänemark) 1968, Berlin (DDR) 1969 und Strasbourg (Frankreich) 1970.

Bei den ersten Tagungen stand die altaische Hypothese, d. h. die Hypothese von der genetischen Verwandtschaft der türkischen, mongolischen, mandschurisch-tun­gusischen und eventuell auch der koreanischen und japanischen Sprache, noch in stärkerem Maße zur Diskussion, wobei der ethnologische Aspekt (Gab es eine al­taische ethnische Einheit?) und damit die Bedeutung ethnologischer, archäologischer und historischer Forschungen für die Aufhellung des Problems starke Beachtung fanden. Diese Problematik trat jedoch bei den letzten PIAC-Tagungen in den Hintergrund, da mehr und mehr Turkologen und Mongolisten teilnahmen, für die die altaische Hypothese nur mehr ein Randgebiet ihrer Forschungen darstellte. Auch ist die Zahl der eigentlichen Altaisten in der Welt relativ klein. Von den 56 Vorträgen, die während der XIII. Tagung in Strasbourg gehalten wurden, können nur noch 2 — 3 als altaistisch im Sinne der altaischen Hypothese bezeichnet werden. Das bedeutet jedoch keinen Verlust an wissenschaftlicher Qualität, da unbeschadet vorhandener oder nicht vorhandener genetischer Verwandtschaft die sprachlichen, kulturellen und ökonomischen Gemeinsamkeiten zumindest der türkischen, mongolischen und mand­schurisch-tungusischen Völkerschaften in allen historischen Abschnitten groß genug sind, um die Fachgelehrten zum gegenseitigen Nutzen für die wissenschaftliche Ar­beit zusammenzuführen. Hinzu kommt der wissenschaftsorganisatorische Aspekt, daß die Turkologen, Mongolisten und Tungusologen weder bei der Sinologie noch bei der Arabistik und Slawistik eine wissenschaftliche Heimat haben, so daß ihre Fach­gebiete in einigen Fällen vor der Wahl stehen, als regionalwissenschaftliche Minia­turen ein kümmerliches Dasein zu fristen oder durch verstärkte Integration ein Ge­wicht zu gewinnen, das ihren potentiellen Anlagen gerecht wird.

Die PIAC-Tagungen führten unter der umsichtigen Leitung ihres Generalsekretärs Prof. Dr. D. Sinor (USA) zu einer Verstärkung der innerwissenschaftlichen Integra­tionstendenzen sowie zur Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit. Das gesamte Forschungs- und Ausbildungspotential auf dem Gebiet der Turkologie und Mongolistik in der Welt dürfte seit Anfang der 50er Jahre auf mindestens das Doppelte angewachsen sein, wofür die PIAC-Tagungen hier und da gewiß Impulse gegeben haben. Dabei zeichnet sich die Tendenz ab, daß sich ein Teil der Kapazität auf moderne Probleme (moderne Sprache, Zeitgeschichte, moderne Literatur etc.) verlagert.

Von vielen Wissenschaftlern wird die Altaistik heute nicht mehr als Teildisziplin der vergleichenden Sprachwissenschaft mit ethnologischem, archäologischem und histo­rischem Bezug verstanden, sondern als umfassende Wissenschaft von allen gesell­schaftlichen Erscheinungen (wozu natürlich auch die Sprache gehört) und Prozessen auf synchroner und diachroner Ebene bei den türkischen, mongolischen und mand­schurisch-tungusischen Völkerschaften bzw. den ihnen vorausgegangenen ethnischen Einheiten. Die auf moderne Probleme orientierte Forschung ist geeignet, historische sowie sprach-, literatur-, kultur- und wirtschaftsgeschichtliche Erkenntnisse har­monisch abzurunden und die den älteren Problemen zugewandte Forschung mit neuen Methoden (EDV) und Ergebnissen moderner Querschnittswissenschaften (mathema­tische Linguistik, Soziologie, Kybernetik u. a.) zu bereichern.

Die oben dargestellten Prozesse sowie die auf Grund der regelmäßigen Teilnahme der namhaftesten Fachgelehrten, der hohen wissenschaftlichen Qualität und der je­weils guten Organisation erreichte Attraktivität der PIAC führten zu einem kontinuierlichen Anwachsen der Teilnehmerzahl bis zur XI. Tagung in Hørsholm (43 Teil­nehmer aus 12 Ländern). Die XII. Tagung in Berlin 1969 leitete eine neue Etappe in der Entwicklung der PIAC ein, da sie die erste war, die in einem sozialistischen Land stattfand und auf Grund der hohen Teilnehmerzahl (160 Wissenschaftler aus 20 Ländern) den Charakter eines regelrechten Kongresses annahm (vgl. den Bericht von K. Lange über die XII. PIAC-Tagung in Berlin in Ethnogr.-Archäolog. Z. 11, 1970, 415–419). Folgerichtig wurde die XIII. Tagung in Strasbourg (96 Teilnehmer aus 20 Ländern) vom Veranstalter auch schon als “Congrès” bezeichnet. Diese Ent­wicklung in Richtung Kongreß rief das Mißfallen einiger um die Gründung und Entwicklung der PIAC verdienter Gelehrter hervor, die u. a. auch die alte PIAC-Atmosphäre vermißten, in der jeder jeden kannte. Um hier einen gewissen Einhalt zu ge­bieten und auch um Abstimmungen hinsichtlich der PIAC-Strategie und -Taktik für­derhin keinen allzu großen Imponderabilien zu unterwerfen, wurde in Strasbourg ein Antrag eingebracht, die bisherige Abstimmungsregelung zu ändern und als Voraus­setzung für das Stimmrecht eine dreimalige (statt zweimalige) Teilnahme festzulegen. Der Antrag wurde mit 15:2 Stimmen abgelehnt. Für einige der folgenden PIAC-Ta­gungen ist jedoch mit geringeren Teilnehmerzahlen zu rechnen. Dadurch würde eine höhere wissenschaftliche Dichte erreicht und verhindert, daß einige Veranstalter mit der Zeit vor unlösbare Probleme gestellt werden.

Nachdem die Tagungen in Hørsholm (1968) und Berlin (1969) ohne einen bestimmten thematischen Rahmen stattgefunden hatten, waren die Vorträge der XIII. Tagung wieder — wie auch bei einigen der früheren PIAC-Zusammenkünfte — Beiträge zu einem vorge­gegebenen Problemkreis, der diesmal “Religiöse und parareligiöse Traditionen bei den altaischen Völkern” lautete. (Oberthemen früherer Tagungen waren u. a. “Die Jagd bei den altaischen Völkern“, “Stammesnamen und Titulaturen“.) Veranstalter waren in Strasbourg das Centre de Récherches d’Histoire des Religions (Präsident: Prof. Dr. M. Simon) und das Institut d’Études turques (Direktor: Prof. Dr. I. Mélikoff) der dortigen Universität. Zu Beginn (am 25.6.) und am Ende der Tagung (am 30. 6. 1970) fanden Plenarsitzungen statt, in der Zwi­schenzeit fanden sich die Teilnehmer in drei Sektionen (Buddhismus, Islam und Übriges) zur Tagungsarbeit zusammen.

In der Sektion “Buddhismus” wurden insgesamt 18 Vorträge gehalten, von denen 6 ethnographische Probleme behandelten, die wir in Hinblick auf den Charak­ter dieser Zeitschrift kurz anführen wollen: H. Z. Ülken (Türkei), Infiltrations des réligions païennes dans les moeurs et les coutumes anatoliennes; E. Taube (DDR), (verlesen von H.-P. Vietze), Widerspiegelung religiöser Vorstellungen im Alltags­brauchtum der Tuwiner der Westmongolei; H.-P. Vietze (DDR). Zu einigen alten Hochzeitsbräuchen bei den Bajad-Mongolen; I. Kecskeméti (Finnland), Frauen­sprache als Tabu-Erscheinung im Oiratischen (der Vortrag wurde nur verteilt); R. Hamayon (Frankreich), Les manières de nommer les enfants mongols; S. Vryonis (Türkei), Evidence of human sacrifice among the early Ottoman Turks. 5 weitere Vorträge behandelten Probleme des Schamanismus. Naturgemäß kamen in dieser Sektion die Mongolisten am meisten zu Wort.

In der Sektion “Islam”, in der 19 Vorträge gehalten wurden, standen Themen vorwiegend ethnographischen Charakters nur in geringem Maße zur Diskussion: H. Tanyu (Türkei), Le culte de l’arbre en Turquie; P. N. Boratov (Türkei), “Saya”, une fête pastorale des Turcs d’Anatolie et d’Azerbaidjan. Diese Sektion war die Domäne nicht nur der Turkologie, sondern auch der türkischen Gelehrten selbst, die in großer Zahl an der Tagung teilnahmen.

In der dritten Sektion (“Übriges”) wurden 19 Vorträge gehalten, von denen die meisten philologischen und linguistischen Problemen gewidmet waren. In dieser Sektion sprach auch P. Zieme (DDR) “Zu einigen manichäisch-türkischen Turfan-Handschriften”. Vom ethnologisch-altaistischen Standpunkt her gesehen,war der Vor­trag von A. Róna-Tas (Ungarn), Magic power, dream and divination in the Altaic world, von Interesse.

Am 30. 6. fanden sich die Teilnehmer der Tagung zur abschließenden Plenarsitzung zusammen, auf der die schon in Berlin ins Leben gerufenen zwei ständigen Komitees der PIAC nochmals bestätigt und zur Aufnahme ihrer Arbeit aufgerufen wurden. Es handelt sich um

  1. das Internationale Komitee für die Erforschung der alttürkischen Kultur (Mitglie­der: Prof. Clauson (England), Prof. Ligeti (Ungarn), Prof. Mélikoff (Frankreich), Prof. Sinor (USA) und
  2. das Internationale Komitee für altaistische Dokumentation (Mitglieder: Prof. Bazin (Frankreich), Dr. Bese (Ungarn), Prof. Buluç (Türkei), Prof. Heissig (BRD).

Sekretär beider Komitees ist Dr. Hazai (Gastdozent aus der VR Ungarn an der Humboldt-Universität zu Berlin).

Auf der Abschlußsitzung wurden Prof. Poppe (USA) und Prof. Schubert (DDR) für die Gedenkmedaille der PIAC vorgeschlagen. In geheimer Abstimmung wurde Prof. Poppe gewählt. — Zur XIV. Tagung (1971) hat Prof. Dr. Lajos Ligeti nach Szeged eingeladen.

Anschrift: Dr. phil. H.-P. Vietze, Leiter des Fachgebietes Mongolistik der Sek­tion Asienwissenschaften der Humboldt-Universität, 108 Berlin, Univer­sitätsstr. 3 b.